Kommentiertes Verzeichnis der Lehrveranstaltungen
Wintersemester 2010/11
VL Einführung in die Philosophie/Introduction to Philosophy (e, LA/Se)Geert Keil
Veranst.Nr. 51 006
UL 6, 2091/92; ab Fr., 22.10.2010, wöch. 10-12 Uhr
Die Vorlesung führt in das Studium der Philosophie ein. Sie verschafft einen ersten Überblick über die Gliederung der Philosophie in Teildisziplinen, erläutert philosophische Grundbegriffe und Methoden und erörtert das Verhältnis von Philosophie und den (anderen) Wissenschaften.
Das begleitende Tutorium dient der Vertiefung der in der Vorlesung diskutierten Fragen, ferner sollen für ein erfolgreiches Studium wichtige Fertigkeiten vermittelt werden, insbesondere die Recherche von Literatur und die Anlage einer philosophischen Hausarbeit. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.
HS Was wäre gewesen, wenn?/What would have been if? (b, d, LA/S1, S2)
Geert Keil
Veranst.Nr. 51 059
DOR 24, 1.406; ab Mi., 20.10.2010, wöch. 12-14 Uhr
Mein Geschichtslehrer pflegte zu sagen, dass die Geschichte keinen Konjunktiv kenne. Diese Auskunft dürfte entweder trivial oder falsch sein. Was geschehen ist, ist geschehen und lässt sich nicht rückgängig machen. Daraus folgt aber nicht, dass Fragen danach, was unter anderen Bedingungen geschehen wäre, müßig sind und haltlosen Spekulationen Tür und Tor öffnen. Kontrafaktisches Räsonnieren über die Vergangenheit ist legitim und für verschiedene Zwecke unerlässlich. Durch kontrafaktische Konditionale werden Kausalaussagen gerechtfertigt und Handlungsspielräume abgeschätzt. Auf Einschätzungen wie „Hätte der Schrankenwärter nicht geschlafen, so wäre der Unfall nicht geschehen“ werden Gerichtsurteile gegründet.
Das Seminar wird einen theoretischen und einen anwendungsbezogenen Teil haben. In der Philosophie wird im Rahmen der Mögliche Welten-Semantik versucht, Wahrheitsbedingungen für kontrafaktische Aussagen anzugeben (Lewis, Stalnaker). Offenbar gibt es mehr oder weniger seriöse Was wäre gewesen, wenn -Urteile. Im Alltag halten wir einige solcher Aussagen für wahr, andere für falsch, bei wieder anderen wissen wir nicht, was wir sagen sollen. Klärungsbedürftig ist, was für diese Unterschiede verantwortlich ist.
Im Anwendungsteil sollen zwei Disziplinen im Mittelpunkt stehen, in denen Was wäre gewesen, wenn -Überlegungen eine prominente Rolle spielen: In der neueren Geschichtswissenschaft gibt es eine differenzierte Methodendebatte über die Funktion kontrafaktischen Räsonnierens. In der juristischen Zurechnungslehre beruht die umstrittene sine qua non -Formel (War der Beitrag des Täters eine Bedingung, ohne die der Schaden nicht eingetreten wäre?) auf einer kontrafaktischen Kausalitätsauffassung. In beiden Debatten gibt es ungeklärte Begriffs- und Methodenprobleme, die für Philosophen hochinteressant sind.
CO Philosophisches Kolloquium/Philosophical Colloquium
Geert Keil
Veranst.Nr. 51 083
UL 6, 3103; ab Do., 21.10.2010, wöch. 10-13 Uhr
Das Kolloquium wendet sich an fortgeschrittene Studierende und Doktoranden. Es soll der gemeinsamen Lektüre aktueller Forschungsliteratur dienen und bietet ein Forum zur Diskussion im Entstehen begriffener eigener Arbeiten. Es wird mehrere thematische Schwerpunkte geben, die in der ersten Sitzung gemeinsam festgelegt werden.
Die Teilnahme ist nur nach Rücksprache vor Semesterbeginn oder auf persönliche Einladung hin möglich. Um eine Voranmeldung bei Frau Rehs wird gebeten (RehsU@philosophie.hu-berlin.de), inhaltliche Vorschläge bitte direkt an mich (geert.keil@hu-berlin.de).
PS Ethik nach Wittgenstein/Ethics after Wittgenstein
Matthias Kiesselbach
Veranst.Nr. 51 026
I 110, 241; ab Mo., 25.10.2010, wöch. 10-12 Uhr
Wird die Frage gestellt, ob es eine wittgensteinianische Moralphilosophie gibt, so liegt für viele Philosophen die Antwort auf der Hand: Nein – und wenn doch, dann eine sehr knappe. Die wenigen Bemerkungen Wittgensteins zur Ethik drücken grundsätzliche Zweifel an der Redlichkeit des ethischen Diskurses aus oder bestimmen die Ethik als transzendentalen, nicht ausdrückbaren Hintergrund unseres Sprechens und Handelns. Die meisten Kommentatoren lassen es damit bewenden: Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.
Doch nach Ansicht einer kleinen, aber wachsenden, Gruppe von Philosophen sollten wir Wittgenstein nicht das letzte Wort über die moralphilosophischen Implikationen seines Werks zugestehen. Tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von Fragen der gegenwärtigen Moralphilosophie, zu denen sich in Wittgensteins Werk hochinteressante Anregungen finden.
Sabina Lovibond etwa argumentiert, dass Wittgensteins Festlegung auf die Autonomie der alltagssprachlichen Grammatik direkt zu einem ethischen Kognitivismus – und Realismus – führt. David Wiggins findet in Wittgensteins Werk Mittel, mit denen er die Hegemonie des ethischen Subjektivismus brechen will. Auch Susan Hurley sieht in Wittgensteins Philosophie Ansätze eines unbescheidenen ethischen Objektivismus. Zudem lassen sich Bezüge zur Humeanismus- und zur Partikularismusdebatte herstellen.
Im Seminar „Wittgenstein und die Ethik“ soll Wittgenstein selbst zu Wort kommen, es soll aber auch und vor allem mit Wittgenstein über Wittgenstein hinaus gedacht werden.
Literatur:
zur Vorbereitung: Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Suhrkamp 2003
Sabina Lovibond, Realism and Imagination in Ethics, University of Minnesota Press 1983
HS Gott im Gehirn. Die Grundlagen religiöser Erfahrung/God on the Brain. The Foundations of Religions Experience (b, d, LA/S2)
Philipp Hübl
Veranst.Nr. 51 056
I 110, 241; ab Di., 19.10.2010, wöch. 12-14 Uhr
Der Neurologe Persinger hat einen „Gott-Helm“ konstruiert, einen gelben Motorradhelm, in dem durch Kabel ein schwaches Magnetfeld erzeugt wird. Mit dem Helm auf dem Kopf „spürten“ viele seiner Versuchspersonen die Präsenz von Dämonen, von Außerirdischen und von Gott selbst. Persingers Kollege Newberg konnte mit einem bildgebenden Verfahren zeigen, dass bei buddhistischen Mönchen während der Meditation die Hirnaktivität im Scheitellappen abnimmt. Dort vermuten Forscher die Grundlage des Gefühls für unsere Körpergrenzen. Laut Newberg erleben die Mönche eine Körperillusion: Sie fühlen nicht mehr, wo sie aufhören und wo die restliche Welt anfängt. So haben sie den Eindruck, sie würden eins mit allem.
Auf der Suche nach den neuronalen Grundlagen religiöser Erfahrung dringen Neurowissenschaftler wie Persinger und Newberg immer tiefer in unsere Hirnwindungen vor. Viele scheinen allerdings zu übersehen, dass Religiosität ein komplexes soziokulturelles Phänomen ist, das nicht nur durch spirituelle Gefühle, sondern auch durch ein Bündel der folgenden Elemente charakterisiert ist: der Glaube an ein höheres Wesen, das Erzählen von Mythen und Geschichten, die Ehrfurcht vor sakralen Bauten und Objekten, ein Moralkodex, die Bewunderung geistiger Oberhäupter, eine ritualisierte Lebensweise und das Erlebnis kollektiver Intentionalität in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten.
Im Seminar schauen wir uns die psychologischen, evolutionären und soziokulturellen Grundlagen religiöser Erfahrung genauer an. Wir lesen unter anderem Texte von Scott Atran, Pascal Boyer, Richard Dawkins, Daniel Dennett, Sigmund Freud, William James, Andrew Newberg, Michael Persinger, Rick Strassmann und Ludwig Wittgenstein.
UE Argumentationstheorie/Argumentation Theory (Argumentation und Sprache)
Philipp Hübl
Veranst.Nr. 51 039
I 110, 241; ab Mi., 20.10.2010, wöch. 12-14 Uhr
In der Philosophie geht man den Dingen auf den Grund. Die zentrale Methode der Philosophie ist das gründliche Nachdenken und das begrifflich scharfe Argumentieren. Argumentieren nimmt eine Mittelstellung ein zwischen logischem Deduzieren und dem Austauschen bloßer Meinungen. Nicht nur bei fremden Texten, sondern auch bei den eigenen muss man sich fragen, ob die darin enthaltenden Urteile gut begründet sind. Im Seminar werden wir sprachphilosophische Grundlagen erarbeiten, Argumentationsformen kennen lernen und die logische Form philosophischer Probleme analysieren.
(1) Die sprachphilosophischen Grundlagen umfassen Themen wie: Wahrheit, Begriffe, Definitionen, notwendige und hinreichende Bedingungen, die Semantik-Pragmatik-Unterscheidung und die Unterteilung in Objekt- und Metasprache.
(2) Eine Argumentation kann glücken oder missglücken. Wir behandeln Argumentationsformen (wie den Modus Tollens, die Selbstanwendung oder das Argument des paradigmatischen Falles), informelle Fehlschlüsse (wie die Petitio Principii, das Argument der schiefen Ebene oder die Ignoratio Elenchi) und Paradoxien (wie das Lügnerparadox, das Sorites-Paradox oder das Barbier-Paradox).
(3) Die logische Form von Sätzen kann man mit Hilfe des Inventars der Aussagen- und Quantorenlogik analysieren. Besonders spannend sind dabei verschiedene Arten von Mehrdeutigkeiten, der bestimmte Artikel, umgangssprachliche Quantoren sowie die Funktion der Indikatoren.
Voraussetzung für das Seminar ist ein abgeschlossenes Logik-Modul.